Christopher Ecker: Andere Häfen

 

Christopher Ecker legt in seiner Sammlung Andere Häfen so diverse, so vielschichtige und schlicht so viele (87!) Texte vor, dass eine inhaltliche Zusammenfassung schwer fällt: Das Spektrum reicht etwa von einer albtaumhaften Wohnungsübergabe mit einer wachsenden Zahl von feindlich gesinnten Vermietern, über zwei Jungen, die eine verbotene Exkursion in ein verlassenes Bergwerk wagen, bis zu einem personifizierten Märchen, das im Verlaufe seines Aufwachsens immer mehr herunterkommt, bis es keinerlei erkennbare Handlung mehr hat. Es scheint ein sinnloses Unterfangen, diese vielen Stoffe hier auszubreiten.

Andere Häfen_Fotor

Vielleicht vermittelt man eher ein Bild von diesem Werk, indem man seine Formen beschreibt, die allerdings kaum weniger vielfältig sind: Eckers Texte erinnern an Kurt Vonnegut, wenn sie scheinbar in einer realistischen Welt spielen, dann aber etwas phantastisches passiert; sie erinnern an Texte des frühen französischen Surrealismus, wenn sie absurden Träumen gleichen; sie erinnern an Kafkas parabolische Erzählungen, wenn die Lesenden nachhaltig verunsichert werden, weil sie das Gefühl beschleicht, dass hinter dem Gesagten noch etwas ganz anderes, etwas Dunkels und Unheimliches steht.

Doch Ecker collagiert nicht einfach Vonnegut, Surrealismus und Kafka zusammen. Seine Texte sind etwas sehr Eigenes, es ist tatsächlich eine neue Art des Erzählens, die er mit Andere Häfen vorlegt. Dabei weiß er alle Sprachregister kunstvoll zu bedienen, krasse Sprünge zwischen diesen inbegriffen. So zum Beispiel in der Geschichte Fagaröm, in welcher ein Professor in auffallend affektiertem Ton darüber berichtet, wie ihm ein ominöser Gegenstand namens „Fagaröm“ übergeben wird, bis dann plötzlich dieser Satz aus dem Ruder läuft:

Im Grunde verabscheue ich Banalitäten, und diese hastig hingeworfene Notiz vor meiner Abreise ähnelte verdächtig den Banalitäten, die ich normalerweise verabscheue, und wahrscheinlich hat sich, es ist eine gottverdammte, grässliche ohne Rezept heillos zusammengerührte Scheiße dieses Leben, hat sich verfluchte Kacke, hat sich also in meinem verfickten Leben niemals etwas geändert, nichts ändert sich jemals, auch wenn mir dieser, wie mir nun auffällt, grenzenlos blöde aussehende Gegenstand mitten in einer mitreißenden Vorlesung von einem meiner dümmsten und zudem seit Jahren mausetoten Studienkollegen dergestalt präsentiert wurde, als sollte ich vor diesem idiotischen Götzen aus einem Material, das nicht einmal irdisch war, jubilierend auf die Knie fallen. [S. 32]

Der Verlag bewirbt Andere Häfen mit der Behauptung, so müsse ein Autor heutzutage schreiben. Mir widerstrebt das Imperative an dieser Aussage, aber Eckers Erzählweise hat tatsächlich etwas Aktuelles. Inhaltlich haben die Texte zwar keinen gesteigerten Gegenwartsbezug, aber formal: Die bewusste Verunsicherung des Lesers passt in eine immer unübersichtlicher werdende Welt ohne feste Gewissheiten. Die Geschichten stehen unverbunden hintereinander wie Posts in einer literarischen Timeline, nicht nur die Länge vieler Texte lässt sie, wenn auch nicht als Tweets, so doch als Facebook-Posts geeignet erscheinen. Dazu passt auch das stete Spiel mit der Metafiktion, das mitunter an Kommunikation mit den Lesenden erinnert.

Man kann durch Eckers Kompendium surfen wie durchs Internet. Aber man kann die Texte schlecht alle mit gleicher Aufmerksamkeit ohne abzusetzen lesen; man braucht Zeit und Abstand, um sich auf den jeweils nächsten einzulassen. Es würde ihnen daher gut angestanden haben, in regelmäßigen Abständen auf einem Social-Media-Kanal zu erscheinen. Aber ein Buch kann man schließlich auch immer wieder aus der Hand legen.  Ein Close-Reading würde sich vermutlich bei den meisten Geschichten lohnen, über viele könnte man voluminöse Essays schreiben. So könnte diese Sammlung kurzer Prosapreziosen ein Liebling der Literaturwissenschaft werden.


Ich danke dem Mitteldeutschen Verlag für das Rezensionsexemplar.

Das Zitat entstammt der Ausgabe:

Christopher Ecker: Andere Häfen

Ecker, Christopher: Andere Häfen, Halle a. d. S. (Mitteldeutscher Verlag) 2017

gebunden, 236 Seiten, EUR 16, 95 [D], ISBN 978-3-95462-915-2

4 Gedanken zu “Christopher Ecker: Andere Häfen

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